»Wer ist dieser Mann, der auch einhundert Jahre nach seinem Tod 1907 noch so populär ist, dass er zum größten Aussiger avancierte?«, fragt der Autor im Klappentext zu seinem Buch Der große Aussiger über Johann Schicht.
Matthias Gerschwitz, Jahrgang 1959, hat sich der Geschichte dieses Mannes angenommen. Er ist seit 1992 in Berlin mit einer Werbeagentur selbständig. Seit 2007 schreibt er auch Bücher, vorwiegend Chroniken. Aufgewachsen ist er in Solingen im Bergischen Land. Seine Familie lässt sich in Teilen nach Schlesien zurückverfolgen; Vorfahren seines Vaters waren an vielen Orten der Welt Pfarrer und Missionare in Diensten der Herrnhuter Brüdergemeine.
Einen Urenkel von Johann Schicht, Horst Hoeck, lernte Gerschwitz 2008 anlässlich der Recherche zu einem Buch über die älteste Kneipe Berlin-Charlottenburgs kennen, die dessen Großvater väterlicherseits – Wilhelm Hoeck – 1892 gegründet hatte. Horst Hoeck war von Molle und Medaille sehr angetan und erzählte Gerschwitz bei einem Treffen Ende 2009 von seinem Urgroßvater mütterlicherseits. Die Weitsicht Johann Schichts, die in jener Zeit eher ungewöhnliche soziale Einstellung seinen Arbeitern gegenüber und die Weltanschauung seines Ahnen hatten ihn schon lange fasziniert – in Gerschwitz fand er jemanden, der die vielen vorhandenen Puzzleteile über Schicht zu einem Buch vereinen sollte. Der Startschuss für das Projekt Der große Aussiger war gefallen.
Tatkräftige Unterstützung erfuhr Gerschwitz von den Heimatfreunden Aussig, vor allem Lore Schretzenmayr, die ihm Unterlagen aller Art und Fotos zur Verfügung stellte. Auch das 1909 von Ferdinand Bernt verfasste Buch über Johann Schicht gab wertvolle Hilfestellung zur Familie. »Schnell tauchte ich ein in die Geschichte eines mir zuvor völlig unbekannten Menschen«, erzählt Gerschwitz. So entwickelte er ein modernes Portrait des Fabrikanten, der das kleine Unternehmen seines Vaters auf die Schiene zum Weltruhm setzte – und dabei doch ganz er selbst und ganz bescheiden blieb. »Johann Schicht kann man einerseits für seine Intuition und seine Weitsicht bewundern, andererseits möchte man ihm aber auch auf die Schulter klopfen für die Disziplin, mit der er ein visionäres Ziel nicht nur erreicht, sondern sogar übertroffen hat«, lässt Gerschwitz seine Arbeit Revue passieren. »Natürlich stimme ich persönlich nicht mit allen seinen Eigenheiten und Ansichten überein – aber ich erkenne neidlos an, dass Johann Schichts Grundeinstellung heute noch Gültigkeit besitzt.«
Der große Aussiger befasst sich aber nicht nur mit der Person Johann Schicht, sondern zeichnet auch ein recht umfassendes Bild über das Lebenswerk des Ringelhainers. Obwohl die Schichtwerke beständig wuchsen, blieben sie immer ein Familienbetrieb. Dies belegt die Fortsetzung der sozialen Errungenschaften unter der Leitung der Söhne Johann Schichts, dies belegen auch Schriften und Erinnerungen, die im Buch zitiert werden. Gerschwitz bedauert, dass er nicht selbst in Usti nad Labem recherchieren konnte: »Bei einem Telefonat mit dem Stadtarchivar erfuhr ich, dass das Firmenarchiv noch nicht zugänglich ist. Gerade die Beschäftigung mit originalen Unterlagen, das Studium alter Quellen macht ja den Reiz der Recherche aus.« Wie jeder Schatzsucher hat auch Gerschwitz ein Lieblings-Fundstück: »Mich fasziniert, dass eigentlich die Schichtwerke den ›Volkswagen‹ initiiert haben«, schwärmt der Autoliebhaber, »und dass der daraus resultierende ›Gatter-Wagen‹ mit 350 ccm und 9 PS sich bei einem Bergrennen nicht hinter dem 7-Liter Mercedes SSKL mit 349 PS verstecken musste. In dieser kleinen Geschichte finden sich alle Ideale wieder, die Johann Schicht vertrat, für die er lebte und die er auch an seine Kinder weitergegeben hat.«
Der große Aussiger sollte als privates Auftragswerk eigentlich nicht in den Handel kommen und hat deshalb auch keine ISBN; Gerschwitz stellte Informationen dazu aber auf seiner Website ein. Prompt kam Resonanz aus der weit verzweigten Familie, die sich für das Buch interessierte. »Ein großes Lob zu Ihrem Buch über Johann Schicht! Ich habe es in kürzester Zeit ›verschlungen‹ – so flüssig und interessant ist es geschrieben und dabei auch gut und gründlich recherchiert«, schrieb ein Urgroßneffe nach der Lektüre. »Ich habe soeben einen ungemein anregenden Abend in der Gesellschaft von Johann Schicht und seiner Familie verbracht«, bedankte sich eine andere Leserin. »Es gibt doch mehr Interesse an Johann Schicht, als ich vorher vermutet habe«, staunt der Autor.
Als kleines »Schmankerl« enthält das Buch am Schluss noch drei originale Rezeptseiten aus einem Schicht-Backbuch von 1919. Nicht nur die Gaumenfreuden sind ein Grund, das Buch öfter mal zur Hand zu nehmen und darin zu schmökern.
(Buchvorstellung »Aussiger Bote«, November 2011)